„Wir sehen uns alle morgen in Berlin“ – so schrieb uns im April scherzhaft meine Professorin in einer Email. Eine sechstägige Exkursion, im Rahmen unseres Seminars zur Ästhetik des Kinder- und Jugendtheaters, stand an.
Aber wir sehen uns natürlich nicht wirklich in Berlin am Theatereingang. Wir sitzen alle vor unseren Laptops. Wir sitzen in WG-Küchen und –Zimmern, in der 1-Zimmer-Wohnung, in unserem alten Kinderzimmer.
Wir sind auf einer Online-Exkursion,
zu einem Theaterfestival, welches aufgrund der derzeitigen Lage leider nur online stattfindet. Eine Exkursion ist ein Ausflug, um an einem anderen Ort etwas zu sehen, zu erleben, zu lernen. Meistens dauert eine Exkursion mehrere Tage, kann aber auch nur einen Tag in Anspruch nehmen. Im Sommersemester gibt es hier an der Uni Hildesheim auch eine konkrete Woche, in der sich alles um solche Ausflüge dreht – die Exkursionswoche. In dieser Woche setzen dann die regulären, wöchentlichen Lehrveranstaltungen aus. Ich studiere im Fachbereich Kulturwissenschaften und Ästhetische Kommunikation, wo sowohl in den Bachelor- als auch in den Masterstudiengängen der Theorie-Praxis-Bezug großgeschrieben wird. So durfte ich schon an mehreren Exkursionen teilnehmen und habe oft mit meinen Kommiliton_innen Festivals besucht, wo dann Theateraufführungen, Konzerte, Ausstellungen u.a.m. stattfanden. Aber diese war auch meine erste Online-Exkursion.
Augenblick mal!
Diese Exkursion geht nun zum Augenblick mal! 2021 – Das Festival des Theaters für junges Publikum. Das Augenblick mal! findet in diesem Jahr komplett digital statt. Für vergangene Exkursionen musste ich mich meist um eine Übernachtung kümmern und da die Kosten für ein Hostelzimmer für mehrere Nächte mein verfügbares Budget überstieg, wurden auf sämtlichen Kanälen Freund_innen und Bekannte nach einem freien Platz befragt. Solche Extrakosten müssen oft von den Studierenden selbst bezahlt werden. Allerdings gibt es auch Ausnahmen, in denen Exkursionen finanziert werden, z.B. durch eine Art „Sponsor“. Dann bekommen alle Exkursionsteilnehmenden Hotelzimmer bezahlt. Es kann also auch etwas luxuriös sein ;) und auf jeden Fall lohnt es sich.
Das Festival startet
am Freitag mit dem ersten Aufführungsbesuch einer Inszenierung für Kinder ab acht Jahren. Was mir direkt auffällt, ganz im Gegensatz zu den meisten Theaterstreams, die ich in den letzten Monaten gesehen habe, wurde sich hier mit der Kamera im Theaterraum auseinandergesetzt. (Wie ich im Laufe der nächsten Tage merke, scheint das Festivalteam darauf einen Fokus gelegt und Unterstützung für die Umsetzung geboten zu haben.) Wir sind alle auf Zoom und diese Situation wird ganz konkret benannt und genutzt. Es gibt mehrere Kameras, die verschiedene Blickwinkel auf das Geschehen und auch in andere Räume ermöglichen – super spannend. Das Publikum wird hier sogar stark mit einbezogen, es sollen Geräusche gemacht und glitzernde Gegenstände in die Laptopkamera gehalten werden. Zum Ende hin gibt sich sogar eines der Kinder mit ausgeschalteter Kamera als die Hauptfigur aus, das ist mein absolutes Highlight.
Workshops, Inszenierungs- und Nachgespräche: Alles digital!
Auf diesem Festival sind zehn Inszenierungen zu sehen – davon schaue ich mir neun an. An diesen sechs Festivaltagen besuche ich außerdem Workshops, Inszenierungs- und Nachgespräche, eine Preisverleihung, die Eröffnungsveranstaltung und streife dazwischen immer wieder mit meinem kleinen selbstgewählten Avatar durch das gather.town zum Festival. Die Plattform gather.town bietet einen virtuellen Raum: es wurden die drei Theater gezeichnet, ein Infostand, ein Späti, Bänke, Sofas und anderes, wo wir uns in Berlin vermutlich aufhielten und miteinander ins Gespräch kämen – eine kleine Stadt eben. Und so verstehe ich diese Plattform auch, als Chance eben so im digitalen Raum spontan ins Gespräch zu kommen.
Möchte ich eine Aufführung sehen, dann laufe ich auf gather.town zum jeweiligen Theater. Es gibt auch eine Ticketkontrolle: hier muss ich ein Passwort nennen. Im virtuellen Theatersaal angekommen, treffe ich auch auf meine Kommiliton_innen und andere mir bekannte Personen – ich sehe ihre Avatare und Namen. Sind Mikro und Video eingeschaltet, sehe und höre ich sie auch, wenn unsere Avatare sich näher kommen. Ist beides ausgeschaltet, sehe ich nur einen schwarzen Kasten statt eines Videos. Doch zu Beginn der jeweiligen Aufführung zeigt sich ein absurd komisches Bild: Wir „setzen“ uns nicht mit unseren Avataren alle nebeneinander auf die virtuelle Tribühne, sondern laufen im Saal umher auf der Suche nach einem geeigneten Platz. Denn während des Live-Streams sind alle, von denen der eigene Avatar nicht weit genug entfernt steht, als kleines schwarzes Videobild am oberen Rand zu sehen.
Austausch am Abend
An diesen sehr inhaltsreichen, aber auch erschöpfenden Tagen sind es die Abende, an denen ich mit anderen zusammen komme. Wir treffen uns auf einer der virtuellen Bänke, die so eingerichtet sind, dass nur wir uns hören können und tauschen uns über das Erlebte aus.
Oder wir gehen in den Blick`s mal!-Raum. Dieser sieht ganz anders aus als alle anderen, wurde von Kindern gestaltet und lädt zum Suchen und Entdecken ein. Dort spielen wir dann gartic.phone und lachen zusammen, wo wir doch nicht zusammen auf einer Bank frieren und ein Bier und ne Cola trinken können.
Für mich zeichnen sich Exkursionen auch immer durch ein Gruppengefühl aus. Dieses Mal ist es tatsächlich eher abgeschwächt, wird dann aber doch immer wieder hervorgebracht, wenn wir uns in der Seminar-Chatgruppe bei technischen Problemen helfen.
Am Ende des Festivals bin ich erschöpft von all dem Input, das wäre vor Ort ganz ähnlich, es kommt aber auch noch eine Anstrengung hinzu, die sich aus mangelnder Bewegung und dem Starren auf den Bildschirm ergibt. Ich habe hier das erste Mal erlebt, wie spannend so ein Online-Festivalbesuch sein kann, wenn wir uns zwischendurch auch auf gather.town treffen. Gleichzeitig ersetzt das natürlich nicht das tatsächliche Versammeln vor einem Theater, sich begrüßen, wiedersehen, zusammen was zu essen suchen und noch schnell zum Späti gehen. Was ich noch loswerden möchte: Noch nie war es möglich, so schnell von einem Theater zum anderen zu laufen, sollte wer im falschen gelandet sein. Verlaufe ich mich in Berlin und lande nicht beim richtigen Theater, brauche ich es meist gar nicht mehr versuchen, dann gehe ich einen Kaffee trinken.
Eine Antwort auf „Auf Exkursion vom Bett an den Schreibtisch“