Ein Auslandssemester, ob Pflicht oder freiwillig, öffnet dir Türen zu neuen Möglichkeiten, Erfahrungen und vor allem in eine andere Welt. Ich habe im Bachelor Internationale Kommunikation und Übersetzen (IKÜ) studiert, hier ist ein Auslandsaufenthalt Teil der Studienordnung. Aber auch in anderen Studiengängen hast du viele Möglichkeiten, einen Auslandsaufenthalt z.B. in Form eines Studiums oder Praktikums einzulegen. Da ihr so viel Interesse gezeigt habt, mehr über meine persönlichen Erfahrungen in Buenos Aires zu erfahren, habe ich hier einen zweiten Beitrag für euch. An dieser Stelle muss ich aber anmerken, dass mein Auslandssemester vor der Coronapandemie stattfand und es damals daher weniger zu beachten gab.
Ein Auslandssemester hat etwas sehr Aufregendes, aber zugleich auch sehr Angsteinflößendes. Manchmal ist es doch genau diese Angst und Ehrfurcht vor etwas, dass die Neugier in dir weckt. So ging es mir zumindest. Für mich war es das erste Mal alleine für eine wirklich lange Zeit ins Ausland zu gehen – und dort zu leben. Ich hatte zwar vorher schon einmal im Rahmen eines kurzen Praktikums vier Wochen alleine in Spanien verbracht, aber mit einem Auslandssemester ist das nicht zu vergleichen. Ich buchte direkt den Hin- und Rückflug, was mir ein Gefühl von Sicherheit gab. Zum einen hatte ich ein fixes Datum, auf das ich zusteuern konnte, falls mich mal das Heimweh packen sollte. Zum anderen ist diese Option günstiger, als zwei separate Tickets zu buchen. Nachdem ich die Tickets gebucht hatte, gab es kein Zurück mehr: Mir wurde endgültig klar, dass ich ganze sieben Monate auf der anderen Seite der Welt leben würde. Eine echt lange Zeit – dachte ich mir. Und entgegen meiner Befürchtungen und wie es oft so ist, verging sie wie im Flug. Was ich hier also schon einmal vorwegnehmen kann: Alle Sorgen waren umsonst.
Die Zeit vor Ort verging zwar wie im Flug, der Flug an sich dauerte aber gefühlt Jahre. Ich war um die 28 Stunden unterwegs, inklusive eines Zwischenstopps in Atlanta, Georgia, für den ich sogar ein Visum benötigte. Es war vielleicht die günstigste Reiseroute gewesen, aber leider auch die stressigste, weil der Flieger zu spät in Atlanta landete, wodurch ich am Ende sogar ausgerufen wurde, bis ich letztendlich schweißgebadet am Gate ankam. Da Buenos Aires auf der Südhalbkugel liegt, waren die Jahreszeiten „vertauscht“: Ich startete im deutschen Sommer im August und kam in den argentinischen Winter, der wider Erwarten echt kalt war! Schnell bemerkte ich, dass ich falsch gepackt hatte und viel zu wenig passende Kleidung dabeihatte. Genau andersherum war es, als ich nach sieben Monaten wieder in Deutschland landete. Ich startete komplett verschwitzt im argentinischen Hochsommer am internationalen Flughafen von Buenos Aires und erreichte ein eisiges, verschneites Deutschland.
La vida porteña: Das Leben in Buenos Aires
Porteños, so werden die Einwohner_innen von Buenos Aires bezeichnet. Viele Argentinier_innen aus anderen Provinzen sagten mir, die Porteños seien unfreundlich, ich allerdings hatte nie das Gefühl. Das Wort leitet sich vom spanischen del puerto, vom Hafen, ab. Mit porteños sind also Personen gemeint, die in einer Hafenstadt wie Buenos Aires leben. Der Hafenstandort am Río de la Plata ermöglichte eine schnelle und einfache Überfahrt nach Uruguay, die ich auch zwei Mal in Anspruch nahm. Nicht zuletzt, um mein Visum nach drei Monaten zu verlängern. Ich besuchte die Hauptstadt Montevideo sowie Uruguays älteste Kleinstadt Colonia del Sacramento, deren Altstadt sogar UNESCO-Weltkulturerbe ist. Die uruguayische Kleinstadt hat also etwas mit Hildesheim gemein!
Buenos Aires ist eine quirlige, verrückte, sehr diverse, aber auch gefährliche Stadt mit europäischem Einfluss und einer gewaltigen Schere zwischen Arm und Reich. Die Stadt hat etwas an sich, das dich nicht gehen lassen will und ich kann gar nicht genau sagen, was das ist. Vielleicht sind es die Tangotänze auf der Straße, der Geruch von medialunas, typische halbmondförmige argentinische Gebäckstücke, und frischem Mate-Tee am Morgen, der Reggaeton, der aus den Autos schallt, die spontanen Busfahrten ohne Fahrpläne oder genauen Abfahrtszeiten oder der wöchentliche Stromausfall, für den etliche Kerzen hinhalten mussten.
Eine starke Inflation beherrschte während meines Aufenthalts in Buenos Aires das Land, wodurch die Miet- und Lebensmittelpreise vergleichbar mit den Deutschen waren. Manchmal wunderte ich mich sehr über die unverhältnismäßigen Preise, insbesondere Drogerieartikel und Klamotten waren sehr teuer, Essengehen dafür umso günstiger. Dank der WG, in der ich lebte, lernte ich einige Mädels kennen, mit denen ich regelmäßig ausging, Tangovorstellungen besuchte, sonntags auf Kunst- und Handwerkmärkte flanierte, Tagesausflüge machte, durch Argentinien reiste oder einfach abends gemütlich zusammensaß. Wir versuchten, la vida porteña komplett einzusaugen.
Apropos WG-Leben
Wie bereits erwähnt, lebte ich in einer WG in einem der sichersten Stadtteile von Buenos Aires – Palermo. Ich hatte großes Glück, da ich schon jemanden vor Ort kannte und bei ihr in der WG kurzfristig ein Zimmer frei wurde. Am Ende lebte ich mit ihr, Laura aus Deutschland, und Juli, eine Kolumbianerin, unter einem Dach. Es stellte sich heraus, dass wir drei komplett verschieden war, dennoch war das Zusammenleben sehr harmonisch. Laura half mir, mich in der chaotischen Metropole zurechtzufinden, klärte mich über den Dialekt in Buenos Aires auf und gab mir etliche Insidertipps. Ein Glück, dass sie da war, denn ohne Laura wäre mir, so unsicher und schüchtern, wie ich anfangs war, vieles schwieriger gefallen. Juli half mir, mein Spanisch zu verbessern, indem sie mich zu den unterschiedlichsten Events mitnahm und mich immer fragte, was ich den Tag über so getrieben habe. Auf diese Weise hat sie meine Spanischkenntnisse in Bezug auf Vergangenheitsformen getestet, was mich zuerst unter Druck setze, bis ich dann aber schließlich den Dreh raushatte.
Das Uni-Leben
Der eigentliche Grund, warum ich ein Auslandssemester absolvierte, war ja das Studium, deswegen es hier auch nicht zu kurz kommen sollte. Dieses spielte sich an einer wunderschönen historischen Volkshochschule Instituto De Enseñanza Superior en Lenguas Vivas „Juan Ramón Fernández“ ab, welches eine „Partnerhochschule“ der Uni Hildesheim ist. Dort belegte ich Kurse mit einer deutschen Kommilitonin aus meinem Studiengang. Bei den Seminaren handelte es sich um Übersetzungsübungen vom Deutschen ins Spanische, um Kulturwissenschaften Argentiniens sowie um Sprachwissenschaft. Die Seminare waren zum Teil sehr wenig belegt, sodass aktive Mitarbeit gefragt war. Anfangs fiel mir das Sprechen und Verstehen unglaublich schwer, da der argentinische Dialekt enorm von meinem Uni-Spanisch abwich und einige Verben sogar anders konjugiert werden. Irgendwann gewöhnte ich mich daran und versuchte, mich wie ein Chamäleon anzupassen. Ich musste zuhause viel vor- und nachbereiten, was immer sehr zeitintensiv und häufig nervenaufreibend war. Aber letzten Endes profitierten mein Spanisch, meine fachlichen Kompetenzen und auch mein Selbstbewusstsein davon.
Denn es sind eben genau diese Herausforderungen, Hürden und Sprachbarrieren, die dich zwingen, deine Grenzen zu überwinden und deine Komfortzone zu verlassen. Ich bin auf jeden Fall über mich hinausgewachsen und als andere Person aus dieser Zeit rausgegangen. Ich würde jedem/jeder so eine Erfahrung während des Studiums wärmstens ans Herz legen. Du bist vielleicht nie wieder so flexibel wie im Studium!