Arbeiterkind – Als Erste_r in der Familie studieren

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Es gibt viele Gründe, ein Studium aufzunehmen. Aber nicht alle Menschen haben die gleichen Startbedingungen oder erhalten die Unterstützung ihrer Familie. Einige können ihre Reise mit Motorbooten und dem richtigen Gepäck antreten – andere wiederum in einem knarzenden Holzboot mit Paddeln und einem Ballast an Zweifeln. Ich gehöre selbst zu den Personen, die mit einem Holzboot gestartet sind, denn ich habe als Erster in meiner Familie studiert und hatte selbst Zweifel: Wie geht studieren eigentlich? Schaffe ich das? Wie soll ich mir das leisten können? Nachdem ich es an die Uni geschafft hatte, fühlte ich mich fremd und traute mir weniger zu als andere. So kann es sich anfühlen, als Erster in der Familie zu studieren: Ein Arbeiterkind zu sein. Ich möchte Studieninteressierte motivieren, mutig und selbstbewusst zu sein und habe mit verschieden Menschen der Organisation Arbeiterkind.de gesprochen. Wie du dort Unterstützung auf dem Weg an die Uni bekommst, habe ich dir hier zusammengefasst:

„Arbeiterkinder – Damit sind in erster Linie Menschen gemeint, die als Erste_r in der Familie studieren, die nicht in einem akademischen Umfeld aufgewachsen sind – also Menschen wie ich und vielleicht du“, erklärt Anika Werner. Sie ist die niedersächsische Koordinatorin von Arbeiterkind.de, hat mir in einem Gespräch viele Fragen beantwortet und Einblicke in ihre Arbeit gegeben. Sie hat selbst als Erste in der Familie studiert und weiß ganz genau, wie es sich anfühlen kann. „Viele Studierende der ersten Generation glauben, dass es an ihnen persönlich liegt, wenn sie vor Hürden oder Problemen stehen. Sie hinterfragen häufig nicht die strukturellen Rahmenbedingungen“, erklärt sie mir.

Der Spagat zwischen zwei Welten

„Macht euch nicht verrückt“, sagt Anika Werner. „Unseren Hintergrund sollten wir als Stärke betrachten. Erststudierende lernen, sich in zwei Welten zurechtzufinden“ – so habe ich es auch selbst empfunden: Zuhause in der Heimat bei meiner Familie lebte ich in der nicht akademischen Welt und an der Uni in der akademischen Welt. Dieser Umstand ist aber keinesfalls eine Schwäche! „Im Gegenteil“, bestätigt mir Annika. „Es zeugt von Stärke, diesen Spagat zu meistern. Gerade bei Arbeiterkindern erlebe ich viel Willensstärke und Durchhaltevermögen.“

Von diesem Spagat berichtet mir auch Ronja. Sie ist 26 Jahre alt und studiert zurzeit im Master Informationsmanagement an der Uni Hildesheim. Sie hatte davor eine Ausbildung gemacht und hatte bereits einen festen Job, als der Wunsch zu studieren in ihr aufkam. „Das kann noch nicht alles gewesen sein“, dachte sie damals. „Ich möchte noch mehr lernen, wissen, erfahren und mir so vielleicht noch spannendere Berufe erschließen“, erzählt sie mir. Sie hatte Freundinnen und Freunde, die bereits studierten und setzte sich in einer Vorlesung einfach mit dazu. Danach war sie sich sicher, dass sie an die Uni möchte. Die meisten Arbeiterkinder studieren nicht einfach, weil es von ihnen erwartet oder vorgelebt wird. Die meisten wollen studieren, weil sie wissbegierig sind und das Verlangen haben, sich selbst zu verwirklichen oder weil sie später ein sicheres Gehalt haben möchten. Leicht fiel Ronja ihre Entscheidung für ein Studium aber dennoch nicht. Schließlich hatte sie bereits eine feste Arbeitsstelle, ein sicheres Einkommen. Auch ihre Familie begegnete dieser Idee erst mit Skepsis. „Bist du dir sicher, dass du deinen sicheren Job aufgeben möchtest?“, lautete die Frage. Letzten Endes entschied sie sich aber doch für das Studium. Ihre Anfangszeit war von Zweifeln, dem Gefühl des Fremdseins und der Hilflosigkeit geprägt.

"Ich hatte manchmal das Gefühl, in einer komplett anderen Welt zu sein, in der eine andere Sprache gesprochen wird." - Ronja

Aber sie erzählte mir auch, was ihr in dieser Anfangszeit geholfen hat: Den Kontakt zu anderen suchen, zu Mitstudierenden und Freund_innen, die bereits studiert haben. „Bei Startschwierigkeiten oder anderen Problemen rund ums Studium oder wenn es darum geht, Menschen mit einem ähnlichen Hintergrund zu treffen, ist Arbeiterkind.de die beste Anlaufstelle“, sagt Ronja.

Was ist Arbeiterkind.de genau?

Arbeiterkind.de ist eine Bildungsorganisation, die bundesweit tätig ist und zum Großteil durch Spenden finanziert wird. Mit ihren rund 6000 ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen und über 80 lokalen Gruppen ist sie in ganz Deutschland und an vielen Hochschulstandorten vertreten. Es ist eine Anlaufstelle für alle, die als Erste_r in der Familie studieren, keine akademischen Vorbilder haben oder von den eigenen Eltern wenig oder sogar keine Unterstützung auf dem Weg ins Studium erhalten. Bei Arbeiterkind.de kannst du all deine Fragen und Sorgen loswerden. Egal, ob du 17 oder 46 Jahre alt bist, egal, ob Schüler_in, Student_in oder Berufseinsteiger_in, niemand wird ausgeschlossen. Arbeiterkind.de ist dazu da, Hürden abzubauen. Darüber hinaus ist Arbeiterkind.de ein Netzwerk, das dir dabei hilft, dich mit anderen zu vernetzen, Erfahrungen auszutauschen, Fragen und Ängste loszuwerden und sich gegenseitig zu unterstützen. Ronja ist beispielsweise über eine Freundin zu Arbeiterkind.de gekommen: Sie musste einen BaföG-Antrag stellen und brauchte dabei etwas Hilfe. Nachdem klar war, dass sie kein BaföG erhalten wird, kümmerte sie sich mithilfe von Arbeiterkind.de um ein Stipendium, sodass sie sich damit und mit einem Nebenjob ihr Studium finanzieren konnte. „Über Stipendien wusste ich wenig. Ich dachte, das sei nur etwas für Überflieger_innen“, erzählt Ronja. Erst durch Arbeiterkind.de wurde ihr klar, dass viele die Chance auf ein Stipendium haben. „Wir machen uns oft unnötig runter und verspielen dadurch unser Potenzial. Wir vergessen ständig, dass wir schon so viel erreicht haben und das trotz all der Schwierigkeiten“, sagt sie. Aus dem Gespräch mit Ronja nehme ich also mit, dass Arbeiterkind.de Mut macht und motiviert.

Wie kann ich mich an die Organisation wenden?

Die Kontaktaufnahme ist ganz einfach, denn es gibt verschiedene Möglichkeiten: Ob telefonisch, online oder über soziale Netzwerke. Suchen, finden und einfach mal anrufen oder eine Nachricht schreiben! Außerdem gibt es da noch die lokalen Gruppen (auch bei uns in Hildesheim!), an die du dich wenden kannst. Sie haben eigene E-Mails und oft sogar WhatsApp-Gruppen oder Instagram, Twitter, Xing und Facebook-Accounts, an die du direkt schreiben kannst. Darüber hinaus hat Arbeiterkind ein eigenes und dazu noch kostenloses Online-Netzwerk. Hier kannst du dich problemlos mit anderen über deine Fragen und Probleme austauschen.

Auch du kannst helfen und unterstützen!

Bei Arbeiterkind.de kannst du nicht nur Rat suchen, sondern auch selbst tätig werden . „Die Organisation lebt davon, dass sich Menschen ehrenamtlich engagieren und anderen helfen möchten“, sagt Anika Werner. Wenn du Arbeiterkind.de unterstützen möchtest, kannst du Zeit, Geld oder dein Wissen spenden. Dabei spielt es keine Rolle, ob du Schüler_in, Student_in oder bereits berufstätig bist. Alle können mitmachen. „Erzähle anderen deine Geschichte, bringe dich in der Gruppenorganisation ein oder engagiere dich entsprechend deiner Fähigkeiten,“ erklärt Anika Werner. Ronja ist beispielsweise seit ihrem zweiten Semester mit an Bord. Auf Informationsveranstaltungen informiert und klärt sie Studieninteressierte, Schüler_innen und Eltern über den Uni-Alltag, über Finanzierungsmöglichkeiten und andere Fragen rund ums Studium auf. „Je mehr Menschen erreicht werden, desto mehr trauen sich, ein Studium aufzunehmen und es durchzuziehen“, sagt mir Anika Werner zum Abschluss unseres Gesprächs.

Übrigens: Falls du dich vielleicht für ein Stipendium bewerben möchtest: Stipendien-Geber_innen erwarten oft, dass du ein Ehrenamt ausübst, da wäre Arbeiterkind.de doch vielleicht das Richtige für dich, oder?

Zum Schluss möchte ich noch verraten, welche Bedeutung das Wort Arbeiterkind für mich persönlich hat: Für mich bedeutet es, dass ich vieles von Grund auf neu erarbeiten musste. Oder rückblickend betrachtet, dass ich unter schwierigeren Bedingungen etwas erarbeitet und erreicht habe. Und wenn ich nach vorne schaue, so bin ich ein Arbeiterkind, weil ich mir sicher sein kann, dass ich mir weiterhin meine Ziele immer (meinetwegen auch auf Umwegen) erarbeiten kann. Ich finde es toll, dass es dieses Unterstützungsangebot gibt. Und was ich und viele Arbeiterkinder bereits geschafft haben, schaffst du mit Sicherheit auch! ?

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